MITKU SEBOKA – LANGSTRECKENLÄUFER AUS ÄTHIOPIEN

LAUFSPORT MitkuSebokaaus Äthiopien ist Langstreckenläufer. Vorbereitung und Regeneration sind für ihn besonders schwierig – denn er lebt in einem Asylbewerberheim.

Mit der Lücke, die zwischen seinen Schneidezäh-nen klafft, sieht Mitku Seboka aus wie ein kleiner Junge. Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn er gestikuliert, um zu erklären, was er nicht in Worte fassen kann –zumindest nicht in deutsche. Wenn am Ende keiner der Ge-sprächspartner verstanden hat, was der andere ihm gerade er-zählt hat, dann lacht Seboka spitzbübisch, und seine Zahnlü-cke kommt wieder zum Vor-schein.
Vor zwei Jahren ist der 26-Jährige aus Äthiopien nach Deutschland gekommen. Wenn man ihn nach den Gründen fragt, sagt er nur „politics“. Bis vor kurzem hat er im Asylbe-werberheim in Weismain gelebt, inzwischen ist Seboka in die Un-terkunft in Zirndorf umgezogen – des Sports wegen.

Denn seit er ein kleiner Junge ist, läuft Mitku Seboka, wie viele Äthiopier. 21 Goldmedaillen hat das Land bei den olympischen Spielen geholt, alle im Langstre-ckenlauf. Warum es diese Tradi-tion gibt, weiß Seboka nicht. Vielleicht wegen der schlechten Infrastruktur, die Äthiopier müssen viele, auch weitere Wege noch zu Fuß zurücklegen. An professionellen Strukturen liegt es jedenfalls nicht: In seiner Heimat sei es schwierig, an gute Ausrüs-tung zu kom-men, oft trainieren die Sportler sogar mit kaputten Schuhen.

Trotzdem: Für
ihn sind die Trainingsbedingungen in Äthio-pien sogar besser als in Deutsch-land. Denn die Ausrüstung spielt aus seiner Sicht nur eine untergeordnete Rolle. Viel wichtiger sei, dass man gemein-sam trainiert und sich gegensei-tig anspornt.
Und genau deshalb hat Sebo-ka, der bis zur Wechselfrist im Herbst noch für die TS Lichten-fels startet, den Umzug in die Asylbewerber-Unterkunft in Zirndorf beantragt. Denn hier lebt mit Eshetu Zewudie ein Landsmann, mit dem er nun zu-sammen beim LAC Quelle Fürth trainiert. Mit ihm kann sich Se-boka auch unterhalten – denn die beiden sprechen keine euro-päische Sprache, sondern nur die äthiopische Amtssprache, Am-harisch.
Bei Quelle Fürth kümmert sich Trainer Theo Kiefner um den Afrikaner, holt ihn zu den Wettkämpfen ab und hilft ihm bei Behördengängen. Kiefner kennt die Schwierigkeiten, die ein Asylbewerber hat, der an Rennen teilnehmen möchte: Se-boka darf sich eigentlich nur in dem Regierungsbezirk aufhal-ten, in dem er lebt. Denn in Bay-ern gilt noch die sogenannte Re-sidenzpflicht. „Wenn zum Bei-spiel in Coburg ein Lauf ist, dann muss Mitku erstmal einen An-trag stellen, dass er den Bezirk Mittelfranken verlassen darf“, erklärt Kiefner. Das ist um-ständlich, zumal Seboka beinahe wöchentlich an Läufen teil-nimmt. Die Bedingungen, sagt Kiefner, seien insgesamt unsäg-lich. Während andere Sportler nach einem Wettkampf nach Hause gehen, sich ausruhen, vielleicht ein Bad nehmen, muss Seboka zurück in sein kleines Zimmer mit Stockbetten, das er sich mit fünf weiteren Menschen teilt. Privatsphäre gibt es nicht. Die Essenspakete, die er be-kommt, sind natürlich nicht auf die Bedürfnisse eines Sportlers ausgerichtet. Doch der Äthiopi-er findet das alles nicht schlimm, in Zirndorf sei es „ganz okay“. Ihm ist wichtig, dass er die Mög-lichkeit hat, zu trainieren.
Seboka sammelt Titel
Trotz der schlechten Bedingun-gen zeigt Seboka der Konkur-renz bei Wettkämpfen regelmä-ßig die Grenzen auf. Er ist bayer-ischer Meister über 5000 Meter, oberfränkischer Meister über 10 000 Meter, Sieger über 21 Ki-lometer beim Obermain-Mara-thon – die Liste lässt sich fortset-zen. Die Ausrüstung, die er für die Wettkämpfe und sein Trai-ning braucht, stellt ihm der Ver-ein zur Verfügung. Seboka be-kommt im Monat nur rund 150 Euro – zu wenig, um sich davon auch noch teure Laufschuhe kaufen zu können.
Der Äthiopier würde gerne in Deutschland bleiben. Was ihm hier gut gefällt? „Alles“, sagt er. Mit einer Einschränkung: Der Winter in Deutschland ist „ein bisschen nicht gut“. Theo Kief-ner befürchtet, dass Sebokas Chancen, in Deutschland blei-ben zu können, schlecht stehen.„Die Erfahrung zeigt, dass Äthiopier nur in den seltensten Fällen anerkannt werden“, sagt Kiefner. So paradox es klingt –die Situation dort ist offenbar nicht schlimm genug, um in Deutschland dauerhaft Asyl zu bekommen. Seboka wartet nun bereits seit ganzen zwei Jahren auf die Genehmigung seines An-trages. Und die Ungewissheit nagt an ihm.
Deshalb schätzt er das Laufen so sehr. Hier bekommt er den Kopf frei, ist fokussiert. Sein größter Wunsch ist es, einmal bei den olympischen Spielen zu star-ten. Das Potenzial dazu, sagt Kiefner, hätte der Äthiopier.„Was war deine beste Zeit beim Marathon?“, fragt er Seboka.„Zwei Stunden, sechs Minu-ten“, nur zweieinhalb Minuten langsamer als der olympische Rekord. Seboka lässt ein stolzes Grinsen folgen – und zeigt ein letztes Mal seine Zahnlücke.

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